Es gab Jahre, in denen
wir für einen Besuch bei meinen Omas durch 3 von 4
Besatzungszonen im später 2-geteilten Nachkriegs-Deutschland
fahren mußten!
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Für mich als
Kindergartenkind war es selbstverständlich, amerikanische
Soldaten mit Militärjeeps und dröhnenden
Militärfahrzeugen in den Straßen meiner Heimatstadt zu
sehen. Besonders sensationell waren dabei nachmittags immer
wieder die donnernden militärischen Übungskolonnen,
denn überall bei uns in Stadt- und Kreisgebiet verteilt
waren eingezäunte und durch US-Flagge offenkundig gemachte
amerikanische Kasernenareale und Siedlungsgebiete mit
Bildungszentren. Auffällig waren aber auch die geschminkten
Amerikanerinnen mit ihren knallroten Lippen und Fingernägeln
und blondierten Locken, heute kurz: Marilyn Monroe Stil genannt,
dann auch die großen Limousinen mit amerikanischem
Kennzeichen. Das alles war fraglos so. Wie oft habe ich damals
gehört, dass ich doch Glück gehabt hätte, weil ich
den Krieg nicht miterleben musste! Und, weil bei uns die
Amerikaner sind! Es war eine Zeit der Erleichterung und
zuversichtlicher Freude, in der die Spuren eines Schreckgespensts
namens „Krieg“ im Kinderalltag möglichst verwischt
wurden, sich aber doch nicht ganz verleugnen ließen! Wir
begriffen natürlich nichts von dem was war, aber gesehen und
gehört haben wir: So erinnere ich mich an einen Riss in
einer Wand meines Elternhauses, aus dem der Putz bröckelte.
Er sei bei einem Bombeneinschlag und der Zerstörung eines
Nachbarhauses im Krieg entstanden. Außerdem waren da noch
die schweren Eisentüren des Luftschutzkellers in unserem
Keller, wo wir Kinder nicht alleine hingehen durften, ebenso bei
uns in der Umgebung ein Bunker auch aus dem letzten Krieg,
inzwischen stand er voll Regenwasser.
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Es gab auch immer wieder
Sirenen-Probealarm, denn wir sollten die verschiedenen
Alarmsignale kennen. Für mich war die Sirene auf einem
Nachbarhausdach besonders laut. Der Zeitpunkt vom Probealarm
wurde immer genauestens bekannt gegeben. Es sollte niemand
erschrecken oder in Panik verfallen, wenn plötzlich die
Sirenen losheulten! Sirene und Krieg waren für viele noch
viele Jahre ein gekoppelter Begriff. Daran zeigt sich, dass das
Thema“ Angst vor Krieg“ zu unserem Alltag gehörte.
Es war ein heißes, aktuelles Thema in der Zeit des sich
mehr und mehr vertiefenden Kalten Krieges.
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Obwohl meine Großeltern
mütterlicherseits nicht sehr weit von uns entfernt wohnten,
hatten meine Brüder und ich auf der Fahrt zu ihnen
richtiggehend befremdliche Gefühle. Schon nach halber
Strecke war alles ganz anders, nicht nur die Landschaft hatte
sich geändert, sondern plötzlich waren ganz andere
Autos mit anderen Kennzeichen zu sehen! Mit der Zeit wussten wir,
dass wir bald in der Stadt waren, in der französische
Soldaten waren, so wie bei uns zuhause amerikanische.
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Später erzählte uns
meine Mutter, dass sie hier nach dem Krieg beim Wechsel von einer
“Besatzungszone“ in die andere, den Soldaten einen
Passierschein vorzeigen musste. Es sei wie heute beim
Grenzübergang in ein anderes Land gewesen. Auch der
Schmuggel zwischen den Besatzungszonen habe geblüht!
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Ganz andere Gefühle des
Befremdetseins hatten wir auf der stundenlangen Fahrt nach Norden
zu unserer andern Oma,, zurMutter meines Vaters, die nach ihrer
Vertreibung und Flucht aus Schlesien im Nordosten Deutschlands in
der britischen Besatzungszone lebte.
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Irgendwann einmal unterwegs bot
sich der schockierende Blick auf die sowjetische Besatzungszone
über das „Minenfeld“. Es war eine kilometerlange,
schnurgerade Schneise durch Wald und Flur geschlagen, mit
Stacheldrahtzaun und Selbstschussanlagen versehen, bewacht und
gesichert von schussbereiten Soldaten, die in Wachtürmen
seltsamster Architektur: einer Art grauer, gläserner,
futuristischer Hochsitze, die in regelmäßigen
Abständen positioniert waren. Es wurde von Fluchtversuchen
und Todesschüssen gesprochen, so dass sich bei mir das Bild
dieser Grenze als unüberwindlicher Todesstreifen, mit einem
Gefühl ohnmächtiger Bedrückung einprägte.
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Deutschland war ein
offensichtlich geteiltes Land. Man sprach auch vom Westen und der
Ostzone. Wir „im Westen“ hatten verschiedene Aktionen
im Jahresverlauf, um immer wieder an „unsere Brüder und
Schwestern im Osten“ zu erinnern und gedenken, z.B.: an
Weihnachten eine Kerze ins Fenster stellen. Oder wir hatten am
17. Juni schulfrei dem „Tag der deutschen Einheit“, ein
bis zum 3.10.1990 irgendwie besonders schwer verständlicher
Fest- und Feiertag, der in zugleich mahnendem wie erinnerungs-
und hoffnungsvollem Gedenken in der BRD und DDR gefeiert wurde!
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Ein ziemlich großes
Problem für das Geteilte Deutschland war: Die
Hauptstadtfrage, denn Berlin war geteilt und Ost-Berlin
Hauptstadt der „DDR“, der sogenannten „DDR“,
wie berechtigt es von Bundeskanzler Adenauer war, den anderen
Teil Deutschlands so kritisch zu bezeichnen, und auch beinahe die
Anführungszeichen ironisch zu betonen,das zeigte sich, als
das letzte Schlupfloch der oben geschilderten innerdeutschen
Zonengrenze 1961 durch den Bau der Berliner Mauer vollends
abgedichtet wurde. Welcher wirklich demokratische Staat hat es
nötig, seine Bürger mit solchen Schieß- und
Sperranlagen einzupferchen?! Das waren schockierende Bilder und
Nachrichten. Vielen Familien wurde mit dieser Mauer ein Stück
hoffnungsvolle Aussicht auf Rückkehr in die Heimat
zugemauert.
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Auch nicht problemlos, sondern
spannungsreich war die Zeit des Geteilten Deutschland
sportgeschichtlich betrachtet. Im Vorfeld internationaler
Wettkämpfe gab es oftmals ein mehr juristisches als
sportliches Vorgeplänkel darüber, welcher Teil
Deutschlands die „DDR“ oder die BRD Gesamt-Deutschland
und unter welchem Namen mit wie vielen Sportlern beim
internationalen Wettkampf vertreten darf.
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Damit verbunden war ein
unausgesprochener „innerdeutscher Wettbewerb“, der
jedem Medaillenspiegel oder Finale mit diesem Zweikampf eine ganz
besonders reizvolle Spannung verlieh! Wie ein schlafender Riese
erwachte das Politikum „Geteiltes Deutschland“wieder
und man bekam durch die Reportagen über Wettkämpfe
Einblicke in die Unnatürlichkeit dieses geteilten Staates
und spürte die Verschiedenartigkeit der Lebensbedingungen
und Lebensstandarts.
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Diese innerdeutsche Grenze war
in beiden Richtungen unüberwindlich. Die Unüberwindbarkeit
des „Eisernen Vorhangs“ und die Unerreichbarkeit der
Heimat, das Reiseverbot in Gebiete jenseits der Grenze, sollte
nach unserer Ankunft bei der Oma Hauptthema vieler
Familientreffen werden. Es wurde später in der Schule ein
Themenschwerpunkt im Unterricht: Erst als Schülerin wurde
mir das politisch brisante und prekäre dieser innerdeutschen
Grenze bewusst, dass nämlich hier die beiden damaligen
Weltmächte mit ihren extrem verschiedenen politischen und
volkswirtschaftlichen Systemen aneinander grenzten.
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Die Entstehung Das Geteilte
Deutschland und die Teilung Berlins waren für uns Kinder
damals unerklärliche, abstrakte Erwachsenen-probleme. Nach
einer langen Auofahrt endlich am Ziel, fühlten wir uns
eigentlich auch gerade fern der Heimat und wollten am liebsten
nur spielen und möglichst auf dem Schoß der Oma, an
deren unvergessliches Bild ich hier einfach erinnern möchte.
Sie war eine ruhige, anscheinend immer gelassene, etwas mollige
und in Arbeitsschürze gekleidete Frau, deren Lieblingssatz,
den sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit gleichmütig
wiederholte: „Jaja Kinder, so ist das Leben.“ Ihr
altersfaltiges Gesicht war dabei überzogen von einem
Schmunzeln der schmalen Lippen und Glanz in den kleinen Augen
hinter der runden Brille.
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Natürlich waren wir
damals auch viel zu klein, um die Geschichten der Erwachsenen
beim Kaffeeklatsch zu verstehen, doch wir waren jedesmal stumme
Ohrenzeugen und hörten das Erwachsenengespräch mit,
ohne zu wissen, wovon sie eigentlich redeten. Es ging immer um:
„drieben“, „d'r heme“ und um „die Zeit
früher“ (also: die Zeit vor dem Krieg, die Zeit vor der
Vertreibung) auf dem Hofe. Meist dauerte es nicht lange, bis die
Emotionen hoch schlugen und sie die alten Geschichten aus der
Heimat mit leuchtenden Augen in dem uns unverständlichen
schlesischen Dialekt erzählten. Einmal versuchten wir, uns
mit unserem Dialekt bemerkbar zu machen, was aber niemand außer
uns lustig fand! Dass meine Oma und ihr Schwager, mein
Patenonkel, alle Treffen und jede sich bietende Gelegenheit des
Wiedersehens nützten, um mit ihren Schicksals- und
Altersgenossen, ihren Kindern und Nichten und Neffen ungestört
sprechen zu können, anstatt mit uns, der Enkelgeneration
herum zu spielen, das kann ich heute nachempfinden. Einerseits
wollten sie uns mit ihren Erlebnissen, die sie durch die
Vertreibung hatten, nicht belasten, sicher brauchten sie einander
auch nur Stichwörter zu geben und schon wusste jeder, was
der andere meinte. Andererseits, war dies auch ihre Art der
Vergangenheitsbewältigung. Und ihr Versuch, mit dem
Vertreibungsschicksal fertig zu werden, dem für immer von
der Heimat getrennt leben zu müssen und nichts mehr zu
haben, außer den Erinnerungen mit den Weggefährten.
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Wer alleine ist mit seinen
Erinnerungen, gerät leicht ins Moralisieren oder wird
sentimental - zwischen der heilen Kinderwelt und der Welt der
Kriegsgeneration lagen Welten, die man oft und vielleicht allzu
gerne und allzu lange durch unverständliches und
missverstandenes Schweigen überbrückt hat, vielleicht?
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Vielleicht?
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Fehlte mir als Kind einfach das
Verständnis,
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Aber heute habe ich die
Erkenntnis
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Und sehe, dass meiner Familie
band so geteilt ist, wie das Land,
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In diejenigen, die von ihrer
Heimat getrennt,
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Als Flüchtlinge und
Vertriebene. leben
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Im Unterschied zu den anderen,
die von hier sind!
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Heute kann ich verstehen,
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Wenn im Kopf die Gedanken sich
drehen
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Und in Richtung Heimat gehen,
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Wenn der Erinnerung Bilder
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Bilder der Zerstörung sind
von Haus und Hof,
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Der Zerstörung sind von
Hab und Gut,
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Und
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Wenn dann noch das Herz
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Voll Trauer und ohnmächtiger
Wut,
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Voll Leid und Schmerz,
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Dann ist
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Wohl kaum ein Mensch bereit,
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Zu Kinderspiel
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Und dann spricht mancher
einfach nicht viel.
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Sondern schweigt leichter
?
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